伍慧萍:Chinesisch-europäische Beziehungen im Jahr der Zeitenwende: Ein Rück- und Ausblick ( 《今日中国》)

发布时间:2023-02-01浏览次数:29






Author:Wu Huiping

Das Jahr 2022 stand für Europa im Zeichen der Zeitenwende: Die Ukraine-Krise hat den Kontinent nachhaltig verändert. Sie hat Europa eine einschneidende regionale Sicherheitskrise gebracht, wie es sie seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs nicht mehr gegeben hat. Energiekrise, steigende Preise und Sorgen vor wirtschaftlicher Rezession, sozialen Unruhen und Flüchtlingsströmen – die Folgen des Konfliktes sind für Europa sehr real. Als Reaktion auf die Geschehnisse haben die Europäische Union und ihre wichtigsten Mitgliedstaaten ihre Außenpolitik angepasst, ein Trend, der sich auch direkt auf die chinesisch-europäischen Beziehungen auswirkt. Dadurch sind die Beziehungen zwischen China und Europa in eine neue Phase eingetreten, in der vieles neu austariert wird. 

 

Dennoch steht fest: Im Jahr 2022 haben die chinesisch-europäischen Beziehungen im Allgemeinen ihre stabile und pragmatische Entwicklungsdynamik beibehalten. Einerseits gibt der hochrangige Austausch weiterhin den Ton für die stabilen Beziehungen an. China und Europa haben sich auch während der Coronapandemie relativ häufig auf hoher Ebene ausgetauscht, zum Beispiel durch Videokonferenzen oder Telefonate. Mit der allmählichen Lockerung der Pandemiebeschränkungen in China nimmt nun auch der hochrangige Austausch in Präsenz wieder zu. 

 

Bundeskanzler Olaf Scholz war der erste westliche Regierungschef, der China nach dem XX. Parteitag besuchte. Chinas Staatspräsident Xi Jinping traf derweil im Rahmen des G20-Gipfels im vergangenen November jeweils getrennt mit den Staats- und Regierungschefs Frankreichs, Spaniens, der Niederlande und Italiens zusammen. Anfang Dezember stattete EU-Ratspräsident Charles Michel China einen offiziellen Besuch ab. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hat wiederholt angekündigt, China 2023 besuchen zu wollen. Auch die italienische Premierministerin Giorgia Meloni hat die Einladung von Staatspräsident Xi zu einem China-Besuch bereits angenommen. All diese Interaktionen zeigen, dass sich die Staats- und Regierungschefs der EU und anderer Länder durchaus bewusst sind, dass – trotz der Meinungsverschiedenheiten und des Drucks durch die USA – die Aufrechterhaltung des Kontakts und Dialogs mit der Volksrepublik immer noch unverzichtbar ist. 

 

Andererseits bildet die Wirtschafts- und Handelskooperation nach wie vor eine stabile Grundlage für die bilateralen Beziehungen. Die gegenseitig vorteilhaften Wirtschaftsbeziehungen haben sich weiter vertieft: China ist seit 2020 der größte Handelspartner der EU. Chinas Anteil am EU-Außenhandel hat über die Jahre stetig zugelegt, nämlich von 4,4 Prozent (2000) auf 16,2 Prozent (2021). China ist nicht nur ein wichtiger Absatzmarkt und eine wichtige Rohstoffquelle für europäische Unternehmen, sondern zunehmend auch ein wichtiges Investitionsziel. Insbesondere europäische Großkonzerne haben vor dem Hintergrund der Coronapandemie ihre Investitionen in China ausgeweitet. Auch die bilaterale Zusammenarbeit im Bereich der wissenschaftlich-technologischen Innovation vertieft sich zunehmend. Die Entwicklung der chinesisch-europäischen Wirtschafts- und Handelsbeziehungen ist von großer Bedeutung für die Stabilisierung und Ankurbelung der europäischen Wirtschaft. Das gilt besonders angesichts der Ukraine-Krise. 

 

Gleichzeitig nehmen die strukturellen Widersprüche in den chinesisch-europäischen Beziehungen zu. Kern ist dabei das anhaltende Vertrauensdefizit Europas gegenüber China. Dieses besteht nicht nur hartnäckig fort, es wird durch die viel zitierte Zeitenwende sogar noch verstärkt. Politische Umwälzungen und strategische Ängste verquicken sich in Europa. Die Folge ist ein stärkeres geopolitisches Bewusstsein sowie ein wachsendes Bewusstsein für Systemwettbewerb in politischen, wirtschaftlichen und sicherheitsrelevanten Bereichen. Europa bemüht zunehmend ein binäres Narrativ von Demokratie versus Autokratie. China wird als „Partner, Wettbewerber und systemischer Rivale“ eingestuft, wobei insbesondere die letztere Wahrnehmung zunehmend in den Vordergrund rückt. Der Systemwettbewerb wird mehr und mehr zum prägenden Faktor im Austausch zwischen China und Europa. Und das hat die chinesisch-europäischen Beziehungen im vergangenen Jahr hauptsächlich in zweierlei Hinsicht beeinflusst: 

 

Einerseits verstärkt Europa das Bewusstsein einer Lagerkonfrontation. Die Ukraine-Krise hat die USA und Europa näher zusammengebracht und zu einer zunehmenden Entkopplung zwischen Europa und Russland geführt. Darüber hinaus hat Europa aus der Ukraine-Krise die fragwürdige Schlussfolgerung gezogen, dass es angesichts der gravierenden Folgen seiner Energieabhängigkeit von Russland auch die eventuell viel größeren Auswirkungen seiner wirtschaftlichen Abhängigkeit von China grundsätzlich überdenken muss. Mit seinen umfangreichen Beziehungen zu China in verschiedenen Bereichen, darunter wichtige Rohstoffe wie seltene Erden, Vorprodukte wie elektronische Komponenten, Chemikalien und Pharmazeutika, Hightech-Produkte wie Elektroautos und in Bezug auf die Absatzmärkte geht Europas Abhängigkeit von China weit über die von Russland hinaus. Ausgehend von dieser Schlussfolgerung, welche die vielfachen Unterschiede zwischen China und Russland außer Acht lässt, haben die EU und viele ihrer Mitgliedstaaten begonnen, ihre Politik gegenüber China zu überdenken.  Ideen wie „Friend-Shoring“ und Gegenmaßnahmen gegen „Weaponized Interdependence“ sowie „Economic Eoercion“ ersetzen zunehmend die Leitidee von „Wandel durch Handel“ und werden neue Normalität der europäischen China-Politik. Gleichzeitig legt Europa mehr Wert auf Solidarität und eine einheitliche Haltung gegenüber China. Es verstärkt zudem seine Koordination mit den USA und anderen westlichen Verbündeten.

 

Andererseits ist Europa defensiver geworden. Die EU und die europäischen Großmächte, sei es Deutschland, Frankreich oder Italien, gehen im Umgang mit China realistischer und defensiver vor, indem sie die Wirtschafts-, Handels- und Technologiepolitik zunehmend als neues Spielfeld des Systemwettbewerbs betrachten und darauf einwirken, langfristige strategische Pläne zu entwickeln, die Lieferketten umzustrukturieren, die wirtschaftliche Resilienz zu erhöhen, die Abhängigkeit von China zu verringern und den Schutz europäischer Unternehmen, Industrien, Märkte, Technologien, Lieferketten und Infrastruktur zu verstärken. 

 

Bei der konkreten Umsetzung dieser Pläne fördert Europa aktiv verschiedene industriepolitische Instrumente, die „Global-Gateway“-Projekte und diverse Strategien, unter anderem für kritische Rohstoffe und für die Indo-Pazifik. Der Kontinent führt strategische Projekte auf allen Stufen der Lieferketten ein, sucht nach alternativen Märkten und baut seine Handelsnetze im asiatisch-pazifischen Raum, in Lateinamerika und Afrika aus. Nicht zuletzt werden mehr Freihandelsabkommen mit anderen indopazifischen Ländern abgeschlossen. Gleichzeitig beginnt Europa mit Stresstests für europäische Unternehmen mit engen Beziehungen zu China und erwägt strengere Kontrollmechanismen für ausländische Direktinvestitionen, nicht nur für chinesische Unternehmen in Europa, sondern auch für europäische Unternehmen in China.  

 

Angesichts der Zeitenwende hat Europa den starken Wunsch, seine globale Rolle und Position neu zu definieren und seine umfassende Stärke zur Geltung zu bringen. Man will eine wichtige geostrategische Macht werden, in Diplomatie und Sicherheitspolitik selbstbewusster auftreten, die europäischen Entscheidungsmechanismen verbessern und strategische Autonomie erlangen. Der tiefgreifende Wandel in der strategischen Kultur Deutschlands, der größten europäischen Volkswirtschaft, spiegelt den derzeitigen Wandel der europäischen Diplomatie und Sicherheitspolitik gut wider. Hierzu zählt die Bereitschaft der Bundesrepublik, eine Führungsrolle zu übernehmen, mehr in militärische Hard Power zu investieren, sein militärisches Engagement im Rahmen der NATO zu verstärken und eine gemeinsame europäische Politik in verschiedenen Bereichen, einschließlich Militär, Industrie und Diplomatie, zusammen mit anderen Ländern wie Frankreich voranzutreiben. Die Definition seiner Rolle wirkt sich auf Deutschlands Entscheidungsfindung aus.  

 

Um in der Zeitenwende eine wichtigere geostrategische Größe zu werden, anstatt an den Rand gedrängt zu werden, sollte sich Europa seiner Rolle als Großmacht bewusster werden. Es sollte seine außenpolitische Entscheidungsfindung umfassender, ausgewogener und unabhängiger gestalten und den Erfordernissen der internationalen Zusammenarbeit und der Global Governance verstärkt Rechnung tragen. Dazu zählt auch die Notwendigkeit, die Bedeutung der chinesisch-europäischen Beziehungen ausgerechnet angesichts der Zeitenwende aus einer langfristigen strategischen Warte zu betrachten. 

 

Im Hinblick auf die großen Herausforderungen unseres Zeitalters – dazu zählen der Klimawandel, Krisen im Bereich der öffentlichen Gesundheit, Nahrungsmittelkrisen und die Verhinderung einer Eskalation regionaler Konflikte – gibt es für China und Europa durchaus Spielraum, die Qualität und das Niveau ihrer Zusammenarbeit zu erhöhen. Bei der Lösung der Ukraine-Krise kann China eine konstruktive Rolle spielen, indem es sich gegen den Einsatz von Atomwaffen und für eine friedliche Lösung des Konflikts ausspricht. Im Hinblick auf die Entwicklung von Wirtschafts- und Handelskooperationen auf höherer Ebene können China und Europa gemeinsam mit einer offenen, pragmatischen und kooperativen Einstellung neue Wachstumsmotoren schaffen, etwa in den Feldern Digitalwirtschaft, Umweltschutz, neue Energien und künstliche Intelligenz. Sie sollten für ein faires und transparentes Geschäftsumfeld für die Unternehmen der jeweils anderen Seite sorgen. 

 

Mit Blick auf das Jahr 2023 sind umfassendes Engagement, Dialog und Zusammenarbeit der notwendige Weg für die Beziehungen zwischen China und Europa. Beide Seiten sollten in dreierlei Hinsicht aufeinander zugehen. 

 

Erstens sollten sie das Fundament des gegenseitigen politischen Vertrauens festigen und stärken. Die chinesische Außenpolitik ist insgesamt berechenbar und hat gute Absichten für die Entwicklung der Beziehungen zwischen China und Europa. China bekundet in hochrangigen Dialogen immer wieder seinen guten Willen, die strategische Kommunikation und Koordination mit der europäischen Seite zu verstärken und eine stabile und weitreichende umfassende strategische Partnerschaft zu fördern. Zudem hat die chinesische Regierung wiederholt die Notwendigkeit betont, Reform und Öffnung auf hohem Niveau voranzutreiben. China wehrt sich dagegen, Wirtschafts-, Handels-, Wissenschafts- und Technologiefragen zu politisieren bzw. zu instrumentalisieren oder sie zu einem Sicherheitsproblem zu machen. Dennoch bewerten viele europäische Politiker die „wirtschaftliche und handelspolitische Abhängigkeit“ von China noch immer als Risiko und Herausforderung und versuchen diese zu reduzieren. Relevante politische Trends spiegeln voll und ganz wider, dass Europas Vertrauensdefizit in China eher gewachsen als gesunken ist. China und Europa sollten vor diesem Hintergrund ihre Kommunikation weiter verbessern.  

 

Zweitens sollten beide Seiten systembedingte Unterschiede respektieren und akzeptieren. Die politischen und gesellschaftlichen Systeme eines Landes sind das Ergebnis langer historischer Prozesse und Erfahrungen. Dass systembedingte Unterschiede bestehen, steht außer Frage. Dennoch darf der Systemwettbewerb nicht zum Leitprinzip oder zum entscheidenden Faktor bei der Formulierung der Außenpolitik werden. Stattdessen sollte Europa nach Wegen der Koexistenz verschiedener Systeme suchen, den Eurozentrismus abbauen und vom Gedanken des Systemwettbewerbs Abstand nehmen. Der Kontinent sollte die systembedingten Unterschiede überwinden. Er sollte die von jedem Land auf Grundlage der eigenen nationalen Gegebenheiten gewählten Modernisierungspfade respektieren und akzeptieren. Es gilt, den politischen Grundkonsens in prinzipiellen Fragen – wie Multilateralismus, friedliche Diplomatie, territoriale Souveränität und gegenseitiger Nutzen – zu wahren und kontinuierlich mehr gemeinsame Interessen und politischen Konsens zu schaffen.  

 

Drittens sollten China und Europa echte strategische Autonomie realisieren. Chinas Beziehungen zum Ausland beruhen auf den Grundsätzen der Unabhängigkeit, Selbstständigkeit und Partnerschaft statt Blockbildung. China formuliert seine Außenpolitik stets unabhängig und auf Grundlage einer umfassenden Beurteilung seiner nationalen Interessen und der internationalen Lage. Die EU strebt seit einiger Zeit verstärkt nach wirtschaftlicher und technologischer Souveränität, in der Hoffnung, dass man sich so nicht zwischen China und den USA entscheiden müsse. Sowohl die „America First“-Politik der Trump-Administration als auch der „Inflation Reduction Act“ der Biden-Regierung machen deutlich, dass die Vereinigten Staaten die Interessen der Europäer nicht in den Vordergrund seiner Politikgestaltung stellen. In Sachen China-Politik sollte sich die EU nicht eng an die USA binden. Stattdessen täte sie gut daran, einen angemessenen Abstand zu den Vereinigten Staaten zu wahren, sich ihre Flexibilität und Unabhängigkeit zu bewahren und eine unabhängige Politik nach eigenen Interessen und Werten festzulegen. Handel und Investitionen sind die wichtigsten Stärken der EU. Bestrebungen einer Entkopplung spielen geopolitische Faktoren unangemessen hoch. Eine solche Strategie lässt ökonomische Rationalität vermissen und beschwört die Konfrontation zwischen verschiedenen Lagern letztlich überhaupt erst herauf. Nur die Suche nach Gemeinsamkeiten bei gleichzeitiger Zurückstellung der Unterschiede und die Erzielung von gegenseitigem Nutzen dienen den gemeinsamen Interessen Chinas, Europas und der internationalen Gemeinschaft.  

 

*Wu Huiping ist Professorin der Tongji-Universität und stellvertretende Direktorin des Deutschlandforschungszentrums der Tongji-Universität.